Diese
Ausstellung ist das (vorläufige) Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses,
dessen Fortgang von lebendigen Auseinandersetzungen, produktiven Einfällen,
spontanen sowie wohlüberlegten Entscheidungen und richtungsweisenden
Beschlüssen bestimmt und begleitet wurde. Das Vorwort dieses Katalogs
soll den Besucherlnnen einen Einblick in unsere Reflexionen, Debatten
und Aktivitäten geben. Den Ausgangspunkt bildeten jene Frauen und Institutionen, die bereits zum Thema gearbeitet und sich engagiert hatten. Die Mahn- und Gedenkstätte in Ravensbrück ist seit Jahren bemüht, aus dem ehemaligen Lagergelände einen Ort des Trauerns, Erinnerns, Mahnens und der Auseinandersetzung zwischen den Generationen zu machen. In Österreich unternahmen es vorwiegend Überlebende des Lagers, die Erinnerung und Sensibilität gegenüber alten und neuen Erscheinungsformen nationalsozialistischer Politiken wachzuhalten. In den 80er Jahren erschienen die beiden Bücher "Der Himmel ist blau. Kann sein" und "Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst" der Herausgeberinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori. Sie machten zum ersten Mal vor allem die unterschiedlichsten Formen des Widerstehens gegen das nationalsozialistische Regime einer breiteren LeserInnenschaft zugänglich. Vier der Oral-History-Interviews wurden auch filmisch umgesetzt und gelangten unter dem Titel "Küchengespräche mit Rebellinnen" ins Kino. In jüngster Zeit haben Brigitte Halbmayr und Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung eine breit angelegte Forschungsarbeit "Lebenserinnerungen. Eine Dokumentation über die inhaftierten Österreicherinnen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück" unternommen. Sie haben über vierzig Überlebende interviewt, von denen einige Lebensgeschichten zur Grundlage unserer Ausstellung geworden sind. Die Interviews wurden von einer Gruppe engagierter Filmemacherinnen gefilmt. Tina Leisch und Corinne Schweizer gestalteten aus diesen Interviews den Film für die Ausstellung. Ein Videoarchiv mit den gesamten Interviews ist geplant. Der biographische Zugang Vor ungefähr zwei Jahren konkretisierte sich die Idee bei den Frauen der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, in Zusammenarbeit mit jüngeren Freundinnen, nach mehr als dreißig Jahren wieder ein Ausstellungsprojekt zu initiieren. Die grafische und künstlerische Gestaltung sollte von Sylvie Proidl übernommen werden. Konsens innerhalb der Gruppe war von Anfang an, die Erlebnisse und Erfahrungen jener Frauen zu zeigen, die bisher im Hintergrund gestanden waren, etwa hinter so bekannten Inhaftierten wie der ermordeten Käthe Leichter oder der Überlebenden Rosa Jochmann. Die von uns dargestellten Biographien sollten unterschiedlichste Lebenszusammenhänge zeigen, aus denen die Frauen durch die nationalsozialistische Verfolgung gewaltsam gerissen wurden. Über den Stellenwert der einzelnen Lebensgeschichten in ihrer Beziehung zur "Politik" oder dem sozialen Umfeld waren wir uns lange Zeit uneinig. Jenen Frauen, die den Akzent deutlich bei der Biographie setzten, wurde "Personalisierung" oder "Entpolitisierung" vorgeworfen, sie konterten den "Strukturalistinnen" mit schematischer Vereinfachung oder Entwertung subjektiver Erfahrung zum bloßen Exempel abstrakter Kategorien. Nach langen inhaltlichen Diskussionen erarbeiteten wir eine "Grundstruktur", die die selbsterzählte Lebensgeschichte der jeweiligen Frau ins Zentrum rückt. Dokumente und erklärende Informationstexte sollen den Bezug zum sozialen und politischen Umfeld herstellen. Die bürokratisch-entmenschlichende Sprache der Dokumente wird dabei den persönlichen Erzählungen der Opfer dieser Stigmatisierungen gegenübergestellt. Formen der Umsetzung Wir entschieden uns gleichzeitig für eine formale Dreiteilung der präsentierten Lebensgeschichten in jeweils einen Zeitabschnitt vor, während und nach der Lagerhaft. Die mediale Umsetzung des mittleren Teils als Video erlaubte es uns, die Erfahrungen des Lagers als Bruch der unterschiedlichen Lebensgeschichten zu markieren. Die zurückhaltende Form der Darstellung soll unkommentiert die unterschiedlichen Erfahrungen und Erzählweisen der Frauen in den Mittelpunkt rücken. Ihr Leben vor der Verhaftung und Deportation erfährt in diesem Konzept der Dreiteilung die gleiche Aufmerksamkeit wie die KZ-Haft und ihr Leben von der Befreiung bis zur Gegenwart. Dieser Zugang thematisiert nicht nur Sozialisationen und Lebenswege der Frauen, sondern auch Aspekte der individuellen Geschichte nach 1945, so etwa die Frage der Entschädigung, des Erinnerns und Gedenkens sowie der subjektiven als auch gesamtgesellschaftlichen Verarbeitung dieses Teils der österreichischen Geschichte. Die Frauenbiographien Es werden insgesamt neun Biographien präsentiert: Eva Gutfreund, eine als "Nichtarierin" kategorisierte Wienerin, die Sintezza Rosa Winter, die Kärntner Slowenin Anna Olip-Jug, Christine Berger-Wagner, die im Leobner Widerstand tätig war, die Zeugin Jehovas Katharina Thaller, die burgenländische Romni Gisela Samer, Hermine Nierlich-Jursa, die im kommunistischen Widerstand in Wien aktiv war und Aloisia Hofinger, die eine Liebesbeziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter hatte. Sowohl bei Hörstationen, die von Stefan Geissler und Dieter Kovacic technisch realisiert wurden, als auch im Video haben wir die Stimmen und Erzählweisen der Frauen den BesucherInnen zugänglich gemacht. Wir beschlossen, die Überlebenden ihre Erlebnisse aus der KZ-Haft ausschließlich selbst berichten zu lassen. Keine noch so bemühte Nacherzählung hätte an die Tiefe, Komplexität und Unmittelbarkeit ihrer Schilderungen herangereicht. Die Lebensgeschichte von Leopoldine B., der kein aktuelles Interview zugrundeliegt, haben wir aus folgenden Gründen in die Ausstellung aufgenommen: Sie steht einerseits für die vielen Frauen, für deren Verschleppung ins Lager von den NationalsozialistInnen die Beweise vernichtet wurden. Sie selbst kann und konnte kein Zeugnis ablegen: sie starb 1967 und wurde bis dahin niemals zu ihren Verfolgungserfahrungen befragt. Dieses Schweigen rührt jedoch - und das war der zweite Grund, ihre Geschichte aufzunehmen - von der ihr eigenen Verfolgungsgeschichte her. Leopoldine B. wurde wegen ihrer sexuellen Beziehungen zu anderen Frauen 1940 verurteilt, ein Tatbestand, der bis zu ihrem Tod strafbar blieb. Der feministische Zugang Setzte das NS-Regime dem emanzipatorischen Aufbruch vieler Frauen ein jähes Ende oder mobilisierte ihn für rassistische Utopien, verbannte die Nachkriegszeit weibliche Kreativität in Familie und Privatsphäre. Mit der bewußten Fokusierung auf die Lebensgeschichten von Frauen wollen wir einer Marginalisierung und Ausklammerung sexistischer Formen nationalsozialistischer Gewaltpraxis und ihrer Folgen entgegenwirken. Eine feministische Perspektive soll dabei nicht nur als Ergänzung eines männlich-zentrierten Geschichtsbildes verstanden werden. Sie fordert uns vielmehr heraus, überkommene Konzepte, wie etwa von Widerstand mit seiner klaren Hierarchie zwischen bewaffnetem und unbewaffnetem Kampf, zu überdenken und die spezifisch gegen Frauen, ihre Körper und ihre Sexualität gerichtete Gewalt sichtbar zu machen. Erinnern an die Ermordeten Orientierten wir uns von Anfang an an den Überlebenden des Konzentrationslagers, stellte sich immer wieder das Problem, die Lebensgeschichten ermordeter Frauen dadurch auszuklammem. Den Ermordeten eine symbolische Präsenz, etwa durch eine künstlerische Umsetzung, zu verleihen, war ein vieldiskutierter Ansatzpunkt. Es blieb jedoch ein Unbehagen, dadurch der Auseinandersetzung mit den Ermordeten aus dem Weg zu gehen und sie auch formal von den anderen Biographien zu separieren. Viele Überlebende entgingen ihrer eigenen Ermordung nur knapp, ihre ermordeten Freundinnen, Kameradinnen und unzählige Unbekannte bilden einen integralen Bestandteil ihrer Erinnerungen. Die Erzählungen Christine Berger-Wagners über die ermordete Freundin, die sie auf dem Transport von Ravensbrück in ein Nebenlager kennenlernte, wurden Ausgangspunkt für eine Tafel über Anna Gadol-Peczenik, die 1945 im KZ Buchenwald erschossen wurde. Die Töchter der in Ravensbrück ermordeten Anna Lasser bemühen sich seit Jahren um Informationen zu ihrer Mutter. Hier sah die Kollegin, die an dieser Tafel arbeitete, enge Bezüge zur Suche nach Erinnerung und Identität der nachgeborenen Generationen. Die Leere, die die Ermordung zurückließ, soll durch eine dritte Tafel ohne biographische Anhaltspunkte angedeutet werden. Ravensbrück zum Begriff machen Als allgemeine Zielsetzung war es uns immer ein Anliegen, den historischen Ort Ravensbrück auch in Österreich zu einem Begriff zu machen. Drei Tafeln sind daher den wichtigsten allgemeinen Informationen zum Frauen-Konzentrationslager gewidmet. Dank an die Zeitzeuginnen Die Ausstellung lebt durch jene Frauen, die dargestellt werden. Wir möchten ihnen hier nochmals für ihre Einwilligung zur Veröffentlichung, ihre Kooperationsbereitschaft und ihr Engagement bei der Recherche, ihre Diskussionsbereitschaft und Umsicht beim Korrigieren danken. Wir hoffen, daß viele von ihnen die Ausstellung als Zeitzeuginnen im Dialog mit den BesucherInnen begleiten werden. Den BesucherInnen hoffen wir einen Anstoß zum Staunen und mutigen Denken gegeben zu haben und wünschen einen anregenden Ausstellungsbesuch. Katrin Auer, Daniela Gahleitner, Sylvia Köchl, Corinna Oesch, Christa Putz, Michaela Schaurecker |